An der Spitze angekommen

Mit Nicole Heitzig übernimmt zum ersten Mal eine Frau die Führung eines Landesjagdverbandes in Deutschland. PASSION wollte wissen, welche Themen ihr wichtig sind und ob Männer und Frauen unterschiedlich jagen.

Nicole Heitzig

Geboren 1972 in Münster, kehrte Nicole Heitzig zum Studium der Rechtswissenschaften wieder in ihre Geburtsstadt zurück. Seit 1999 ist sie Richterin am Amtsgericht Paderborn. Den Jagdschein erwarb sie eher zufällig. „Nachdem ich in einem Fall der Wilderei als Richterin den Vorsitz führte, fragte mich einer der anwesenden Jäger später, ob ich – angesichts der sachkundigen Verhandlungsführung – bereits einen Jagdschein hätte“, erinnert sich Nicole Heitzig. Die Frage musste sie verneinen, worauf die Juristin mit einer Visitenkarte den Vorschlag erhielt, denselben doch vielleicht zu erwerben. Das machte Nicole Heitzig dann auch. Und dann kam eins zum anderen. Sie wurde im Verband aktiv. Zunächst als Schatzmeisterin im örtlichen Hegering, später als Vorsitzende der Kreisjägerschaft Hochsauerland. Heute jagt sie mit ihrem Mann im heimischen Revier in der Nähe von Brilon oder in Ungarn. Das spannendste an der Jagd ist für Nicole Heitzig die Unvorhersehbarkeit: „Man kann mit einer großen Erwartungshaltung losgehen und hat keinen Anblick, oder man geht noch schnell nach der Arbeit raus und hat ein wunderschönes Naturerlebnis. Es wiederholt sich einfach nie.“ Als Präsidentin des Landesjagdverbands Nordrhein-Westfalen vertritt sie die Interessen von rund 65.000 Mitgliedern. Der Verband  ist auch der ideelle Träger der „Jagd & Hund“.  Außerdem ist sie Beisitzerin im Vorstand der Deutschen Wildtierrettung e.V. und führt den Vorsitz in der Wildtier- und Biotopschutz-Stiftung NRW.

Frau Heitzig, Sie sind seit März 2021 Präsidentin des Landesjagdverbandes Nordrhein-Westfalen. Eine längst überfällige Entwicklung?

Angesichts der steigenden Zahl von Jägerinnen könnte man dies so sehen und grundsätzlich bin ich auch davon überzeugt, dass es der Jagd guttut, dass sich immer mehr Frauen dafür interessieren. Auch, weil sie vielleicht leichter manches Vorurteil gegenüber Jägern entkräften können.

Weil sie anders jagen?

Das finde ich eben gerade nicht. Frauen und Männer jagen grundsätzlich gleich und das ist auch gut so, denn bei der Jagd handelt es sich schließlich um ein Handwerk, das jeder Jäger einwandfrei beherrschen sollte. Außerdem sind die Herausforderungen für die gesamte Jägerschaft die gleichen und daraus ergeben sich auch unsere Aufgaben als Interessensvertretung. Dafür ist es meines Erachtens unerheblich, ob eine Frau oder ein Mann an der Spitze steht. Entscheidender ist, unseren Mitgliedern zuzuhören, um zu erfahren, welche Themen sie beschäftigen und inwieweit der Verband unterstützen kann.

Was würden Sie denn gern bewirken?

Lieber mehr als weniger (lächelt). Die dringlichste Aufgabe ist, die Jagd an sich zu erhalten und zwar als Eigentums- und Nutzungsrecht und nicht als Dienstleistung für den Forst oder zur Schädlingsbekämpfung. Ich möchte betonen, dass
jeder Schuss berechtigt sein muss, aber für mich benötigt die Berechtigung keine weitere Bedingung als die rechtmäßig ausgeführte Passion. Daraus ergeben sich zwei große Handlungsfelder. Einmal müssen wir unsere Außendarstellung weiter
verbessern, und zum anderen müssen wir uns mehr Gehör verschaffen. So kritisch, wie es manchmal angesichts einiger Schlagzeilen oder Online-Häme den Anschein hat, wird die Jägerschaft von der breiten Öffentlichkeit gar nicht gesehen. Nur leider sind die Jagdgegner laut und häufig sehr unsachlich unterwegs. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir genau erklären, was wir tun, warum und wie davon beispielsweise alle Waldnutzer davon profitieren.

Weil Jäger eben auch Naturschützer sind?

Genau. Hier müssen wir unsere Kommunikation dahingehend verbessern, dass deutlich wird, was die Jäger per se für Flora und Fauna tun. So hat der Deutsche Jagdverband im Rahmen einer repräsentativen Umfrage im Frühjahr ermittelt, dass jeder Jäger durchschnittlich knapp 20 Prozent seines jährlichen Jagdbudgets für Artenschutz und Biotop-Pflege ausgibt. Und 16 Stunden pro Monat ist er im Revier unterwegs, um beispielsweise im Frühjahr Wildtiere vor dem Mähtod zu retten oder Bäume vor Verbiss zu schützen. Auf diese Weise kommen sehr viele ehrenamtliche Stunden im Einsatz für die Natur zusammen.

Inklusive des Engagements des Präsidiums?

Das ist richtig. Meine Kollegen und ich engagieren uns ausschließlich ehrenamtlich. Das beinhaltet Repräsentationstermine, Hegeringtreffen, Präsidiumssitzungen bis hin zum Landesjägertag, um nur einige unserer Verpflichtungen zu nennen. Dabei finde ich es spannend, dass man so viele unterschied­liche Menschen trifft, die alle eine Passion eint. Der Austausch von Jagderlebnissen gehört dementsprechend immer dazu. Und das führt mich gleich zum zweiten Handlungsfeld.

Und das wäre?

Mehr Einigkeit zwischen allen Jägern zu erreichen. Obwohl es nur rund 400.000 Jäger in Deutschland gibt, ist diese Gruppe alles andere als homogen. Es gibt Fleischjäger, Trophäenjäger, traditionsbewusste oder moderne Jäger, technik­ablehnende oder -affine Jäger, Auslandsjäger oder Jäger, die ausschließlich im heimischen Revier unterwegs sind. Bei einer so kleinen Gruppe wie den Jägern ist es deshalb, umso wichtiger, dass wir mit einer Stimme sprechen, damit unsere Interessen, beispielsweise bei Gesetzgebungsverfahren, berücksichtigt werden. Viel zu häufig reagieren wir nur auf neue Verordnungen, statt uns bereits im Vorfeld aktiv einzubringen und unsere berechtigten Interessen zu vertreten.

 „Viel zu häufig reagieren wir nur auf neue Verordnungen, statt uns bereits im Vorfeld aktiv einzubringen und unsere berechtigten Interessen zu vertreten.“

Fehlt es den Jägern an Unterstützern?

Das ist sicherlich ein Grund. Heute scheint es nicht mehr so viele Jäger in der Politik zu geben, sodass wir nicht mehr so viel Verständnis oder Praxiswissen voraussetzen können, wie dies vielleicht noch vor 25 Jahren der Fall war. Wir müssen die Passion für die Jagd und die Faszination für die Natur besser nachvollziehbar machen. Deshalb gefällt mir auch das Projekt „Lernort Natur“ der Jagdverbände so gut. Dort erfahren die Kleinsten häufig zum ersten Mal mehr über das Ökosystem Wald. Idealerweise gäbe es solche Projekte auch für Erwachsene.

Was machen Sie konkret?

Beispielsweise Kontakte zur Politik suchen und pflegen, um für mehr Verständnis für die Belange der Jagd werben. Dabei müssen wir auch über Deutschland hinausschauen, denn ein Großteil der Jagd-Gesetzgebung, und zwar 80 Prozent, kommt aus Brüssel.

Aber in Brüssel vertritt die FACE die Interessen der sieben Millionen Jäger in Europa?

Das ist richtig und über den Deutschen Jagdverband werden auch die Interessen unserer Verbandsmitglieder dort vertreten. Trotzdem müssen wir die Jägerschaft mehr aktivieren und für ein größeres Engagement werben. Das ist manchmal noch etwas zögerlich, wie zum Beispiel die Unter­schriften-Kampagne „sign for hunting“ zeigt. Mit ihr soll gegenüber den Gesetzgebern in Brüssel ein Zeichen gesetzt werden, damit die Belange der Jagd und der Jäger bei den entsprechenden Gesetzgebungen stärker einfließen und nicht aus ideo­logischen Gründen vor vorneherein unberücksichtigt bleiben. Ich appelliere an alle Jäger, die Kampagne zu unterstützen, falls sie es noch nicht getan haben.

Womit erklären Sie sich diese Zurückhaltung?

Sicherlich gibt es individuell unterschiedliche Gründe, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die deutsche Jägerschaft manch europäischer Jagdtradition sehr distanziert gegen­übersteht und das Wir-Gefühl auf europäischer Ebene sehr
häufig noch fehlt. Aber genau das brauchen wir, wenn wir die Jagd erhalten möchten.

Stimmen Sie für die Zukunft der Jagd: https://signforhunting.com/de/

Text: Alexandra Berton, Fotos: Clarissa Günnewig, Sascha Müller-Harmsen, Marc Brugger